Ist es zu fassen? Nach beinahe einem dreiviertel Jahr Lesezeit habe ich den über-1300-Seiten-Schinken endlich bezwungen! Falls diese lange Zeitspanne den Eindruck erweckt, das Buch hätte mich nicht gefesselt, so ist dies falsch! Doch erfordert „Endymion“ einen wachen Geist und ungeteilte Aufmerksamkeit, die ich den Seiten einfach zu selten widmen konnte und vieles doppelt und dreifach lesen musste… O:)
Dan Simmons‘ Science-Fiction Roman „Endymion“ schließt inhaltlich an „Die Hyperion-Gesänge“ an und enthält die Einzelbände „Pforten der Zeit“ und „Die Auferstehung“. Zu meinem Bedauern wurde der schöne Titelbogen der Originalausgabe von „Hyperion“ zu „The Fall of Hyperion“ über „Endymion“ zu „The Rise of Endymion“ nicht übernommen.
Das Geschehen spielt dreihundert Jahre nach dem Fall der Hegemonie und wird von Raul Endymion erzählt, der, vom Pax als Ketzer verurteilt, in einer Schrödinger-Katzenkiste durchs Weltall treibt und auf sein Ende wartet. So gefangen erzählt er von seinem und vorallem vom Leben „Derjenigen, Die Lehrt“, seinem Schützling und einzigen Liebe Aenea, der Tochter von Detektivin Brawne Lamia und des Core-Cybriden John Keats, die auserwählt ist, die Menschheit in ein neues Zeitalter zu führen.
Raul wurde vom Dichter Martin Silenius beauftragt Aenea zu beschützen und gleichzeitig die katholische Kirche, die sich nach dem Fall des Weltennetzes mit dem Versprechen vermeindlicher Unsterblichkeit für alle Träger der parasitären Kruziform im Universum ausgebreitet hat, zu stürzen. Außerdem möchte er doch bitte die Alte Erde zurückholen. Wenns weiter nichts ist…
Während der erste Teil der Geschichte einer Odysses der beiden Protagonisten Raul und Aenea von Planet zu Planet gleicht, auf der sie versuchen den Schergen des Pax, die Aeneas Lehren fürchten und ihre Hinrichtung fordern, zu entgehen, gleicht der zweite Teil wieder mehr einer Pilgerreise, in der Stück für Stück die Geheimnisse des hier geschaffenen Universums gelüftet werden.
Es ist nahezu unmöglich eine derart komplexe Geschichte, die einerseits so detailverliebt, andererseit so allumfassend ist, kurz wiederzugeben.
Vielleicht sollte ich damit beginnen, dass, obwohl nach „Hyperion“ erschienen, „Endymion“ keine echte Fortsetzung ist, sondern, da der gesamte Höhepunkt der Geschichte im zweiten Teil stattfindet, „Hyperion“ beinahe als Einleitung zu „Endymion“ gesehen werden kann oder gar muss. Ein Vergleich mit dem Alten und Neuen Testament scheint mir mehr als angebracht…
Während es in „Hyperion“ noch *echte* Handlung mit viel Action gab, findet das Geschehen in „Endymion“ oftmals zwischen den Zeilen statt, was genaues Lesen und Mitdenken erfordert [definitiv keine U-Bahn-Lektüre!].
Für mich war es teilweise schwer dem Geschehen auf Pax-Seite zu folgen. Die katholische Kirche mit ihren Untergruppen, Verrätern, Core-Sympatisanten und Doppelagenten machte es meinem schlechten Namensgedächtnis wirklich nicht leicht, den Überblick zu behalten. Oftmals hatte ich das Gefühl eine Botschaft nicht richtig erfassen zu können, weil sich mein Wissen um den Hintergrund gerade dieser Person mit der einer anderen Person vermischte…
Am Vorgänger gemessen kann der Roman auf den ersten Blick die Qualität nicht halten, verliert sich im ersten Teil oft in langen, eintönigen Reiseschilderungen und deckt trotz aller Versprechungen die tiefen Geheimnisse des geschaffenen Universums zu bruchstückhaft auf. Im zweiten Teil verzettelt sich der Autor während Aeneas Offenbarungen ein bisschen zu sehr in den urspünglich hinterfragten Dogmen und liest sich wie eine Anleitung zum Buddhismus.
Doch auf den zweiten Blick, spätestens nachdem das Buch zugeklappt wurde und man ein wenig darüber nachgedacht hat, spätestens dann eröffnet sich ein durchweg abgerundetes Gesamtbild, das seinesgleichen sucht und unmissverständlich erklärt, wie wichtig jede einzelne Station auf Aeneas und Rauls Reise gewesen ist, und wie sehr Aenea selbst gelitten haben muss, während sie Raul und dem Leser das brennend benötigte Wissen verwehrt hat. „Endymion“ ist, deutlicher noch als „Hyperion“ eine Pilgerreise, diesmal aber eine, die alle Religionen und die Ethik von Mensch und Maschine in Frage stellt, während man noch glaubt, man befinde sich auf der Suche nach einem Gottwesen…
Mein Fazit:
Uneingeschränkte Leseempfehlung, allerdings sollte man den Vorgänger nicht übergehen, Zeit und Ruhe sowie genügend theologische Toleranz mitbringen.
Sprachlich nach wie vor hochanspruchsvoll und packend geschildert, lässt „Endymion“ die Action und Spannung „Hyperions“ vermissen, entschädigt jedoch mit unglaublichem Hintergrundwissen, religiösen, metaphysischen und evolutionären Theorien, phantastischen Schilderungen fremder Welten und Lebensformen, sowie einer der wunderbarsten Liebesgeschichten der Literatur.