(Achtung, es folgt ganz viel persönliches Mimimi … Weiterlesen auf eigene Gefahr.)
Nach über 1,5 Jahren Rumgehinke und Dauerentlastung war es letzten Monat endlich soweit: Ich durfte den ollen Klumpschuh, der sich zur Tarnung in den grazilen Namen „medizinischer Catwalker“ hüllt (ehrlich – das Ding sollte Elefantwalker heißen), in die Ecke stellen und langsam wieder anfangen, richtig zu gehen.
Ein Grund zu jubeln, absolut, gleichzeitig gibt es nun aber echt viel zu tun. 1,5 Jahre ohne Sport, im Prinzip ohne jegliche Bewegung – ich habe unterschätzt, was das mit einem macht. Die körperlichen Probleme waren abzusehen. Meine Kondition hat sich in Luft aufgelöst, meine Muskulatur ist futsch und über mein Gewicht reden wir besser gar nicht erst. Aber wie sehr diese massive Einschränkung mich auch psychisch belasten würde – das hatte ich nicht erwartet.
Sei vorsichtig mit Deinen Wünschen, das haben wir alle schon irgendwann einmal gehört. Und es hat sich einmal mehr bewahrheitet. 1,5 Jahre zwischen Hoffen und Bangen. Mal totale Ruhe, langsames Aufbelasten, dann wieder einen Schritt zurück und von vorn. 1,5 Jahre hat mich der Mist fast gänzlich aus dem Verkehr gezogen. Ich musste meine Arbeit in der Bibliothek aufgeben, konnte im Haushalt nur noch leichte Tätigkeiten übernehmen, natürlich fiel auch das Hunde-Gassi für mich flach. Also endlich Zeit für all jenes, was sonst wegen der alltäglichen Dinge auf der Strecke bleibt? Anfangs war das so. Die ersten Wochen habe ich beinahe genossen. Ich hatte ausgiebig Zeit zu lesen und konnte daher meinen Anthos für den Skoutz-Award 2020 viel, viel Zeit widmen. Ich konnte dem Kind im Homeschooling zur Seite stehen, das Final Fantasy VII Remake ausgiebig zelebrieren, mal wieder ein bisschen an der Webseite werkeln und habe auch einige Zeit in meinen Roman investiert.
Aber nach jedem Arzttermin, der meine Hoffnung auf Normalität zunichtemachte, wurde meine Stimmung dunkler. Im letzten Herbst, als ich dachte, endlich sei alles vorbei, nur um noch einmal „zwei Monate intensiv zu entlasten“ (… intensiv entlasten … das ist auch so ein Paradoxon, das ich nicht mehr hören mag -.-), da war es das erste Mal schlimm.
Schlimmer war die Diagnose über das zweite Ödem im März. Seitdem habe ich versucht, irgendwie weiter zu funktionieren, doch im Prinzip ging schon ab da nicht mehr viel. Ich habe mich beim Schreiben gequält, nach Möglichkeit meine Lektorate verschoben, weil ich trotz all der freien Zeit keine Muße mehr für irgendetwas hatte. Als im Mai dann zusätzlich eine niederschmetternde Rückendiagnose hinzukam – war es vorbei. Ab diesem Moment habe ich im Prinzip nur noch für meinen Sohn das Bett verlassen. Ich hatte keine Freude mehr am Lesen, kein Interesse am Zocken. An Schreiben war sowieso nicht mehr zu denken.
Ich kann es nicht anders sagen – das letzte halbe Jahr war nicht schön. Da war dieses nagende Gefühl, nutzlos und überflüssig zu sein. In jeglicher Hinsicht. Ich fühlte mich nicht in der Lage, auch nur das Mindeste zu erledigen und sah gleichzeitig diesen riesigen Berg an Dingen, die sich über die lange Zeit aufgestaut hatten und die ich irgendwann irgendwie würde bewältigen müssen.
Und jetzt?
Der Schuh ist weg. Die Ödeme sind weg. Gehen? Geht. Langsam, vorsichtig, aber es geht. Der Rücken wird nie wieder richtig ok sein, aber mit Physiotherapie, normaler Bewegung und ein bisschen Sport wird es auszuhalten sein.
Trotzdem – der Blick nach vorn verunsichert mich. Ich weiß, ich muss langsam machen, darf nicht zu viel von mir erwarten. War anfangs nur wenige Schritte mit dem Hund unterwegs. Nur bis zum Wald und zurück, nicht viel. Mittlerweile schaffe ich schon wieder die komplette kleine Gassirunde. Einmal hat es letzte Woche geregnet und der Hund und ich sind beide pitschnass nach Hause gekommen. Ich kann gar nicht sagen, wie gut das tat! Ja, ich bin noch immer nach wenigen Metern total k.o.. Bergauf ist der Horror, aber sich überhaupt wieder draußen in der freien Natur bewegen zu können, fühlt sich fantastisch an! Ich habe den Wald und die Luft da draußen so unfassbar vermisst …
Aber in gleichem Maße, in dem die Bewegung in mein Leben zurückkehrt und mir gut tut, kehren auch all die anderen Dinge zurück. Es ist, als würde der drohende Berg aufgestauter Dinge in sich zusammenstürzen, und wie eine Lawine aus Pflichten über mir zusammenschlagen. Alles strömt von allen Seiten auf mich ein und begräbt mich. Ich fühle mich überfordert. Mein Kopf ist permanent mit all diesen Dingen beschäftigt und sieht kein Land.
Ich wollte doch gar nicht viel. An die frische Luft, vielleicht 2x die Woche wieder Sport. Und unbedingt schreiben, schreiben, schreiben.
Ich habe zuletzt ein komplettes halbes Jahr verloren, ein halbes Jahr, in dem ich meinen Roman zu Ende bringen wollte. Bis Jahresende fertig zu werden ist nun unmöglich. Aber während der Gedanke vor 6 Wochen noch nicht so schlimm war, ist er heute kaum zu ertragen. Den wichtigsten Kram sortieren und zum Nano voll einsteigen, das wollte ich. Stattdessen habe ich nun 6 Wochen mit Papierkram einer Grippe und Terminen hinter mir und fühle mich meiner Geschichte ferner denn je.
Da war die Steuererklärung, zwei Lektorate, ein anderes Projekt, für das ich mich verantwortlich fühlte, und bei dem ich es bereut hätte, hätte ich die viele Zeit und Energie nicht hinein investiert, egal, wie sehr es mich emotional ausgelaugt hat. Ein riesiger Batzen Unterlagen für die Rentenversicherung und ein weiteres Mammutding für das Finanzamt. Ehrlich – ich hasse das alles.
Es fühlt sich an, als wäre die mühsam antrainierte Gelassenheit mit einem Mal verschwunden und hätte wieder nur mich zurückgelassen, kein bisschen weiser, aber dafür in körperlich und geistig desolatem Zustand.
Ja, ich darf nicht zuviel erwarten. Muss langsam wieder in meine Strukturen hinein wachsen. Und auch anderes wieder neu lernen. Nach all den Monaten Dauerisolation fällt es mir zB schwerer denn je, mich draußen zwischen Menschen zu bewegen.
Trotzdem (*mit Fuß aufstampf* ;) ). Jetzt ist auch der November schon fast vorbei. Positiv ist, dass ich einen Großteil der endlosen To-Do Liste tatsächlich erledigt habe. Steuer, Lektorat, Fenster putzen, Berge an Papierkram … Geschafft.
Also jetzt – mit Schwung zurück in den Schreiballtag? Das mit dem Nano (für die, denen das nichts sagt -> NaNoWriMo – National Novel Writing Month in jedem November) hat sich natürlich erledigt. Aber auch ohne den Druck oder die Energie des Novembers merke ich, dass es mir unfassbar schwerfällt, in meinen Rhythmus zurückzufinden. Im Moment befinde ich mich wieder in einer „ich hasse jedes einzelne Wort (abgrundtief)“-Phase. Es geht nur in winzig kleinen Schritten vorwärts – was mich nach so einer langen Zeit ohne jeglichen Fortschritt eigentlich trotzdem freuen sollte. Tut es aber nicht. Ich bin ungeduldig und unzufrieden mit mir selbst, was die kleinen Fortschritte wertlos erscheinen lässt und meine Ungeduld weiter verstärkt.
*seufz*
Aber Jammern hilft natürlich nicht.
Also versuche ich, jeden Tag ein bisschen mehr zurück in die alte Form zu finden. Versuche die Worte so stehen zu lassen, egal wie nichtig sie mir vorkommen. Versuche die Fragen auszublenden, auf die ich gerade noch keine Antworten habe und bemühe mich weiterzumachen, damit es sich vielleicht im nächten Jahr wieder alles richtig anfühlt und mir das Ziel nicht mehr wie ein großer Witz erscheint.
Es können nur kleine Schritte sein. Aber immerhin Schritte ohne den blöden Catwalker!