Ich plotte nicht. Das habe ich (glaub ich) schon mehrfach erwähnt. Meine Geschichten beginne ich meist aus dem kurzen Aufblitzen eines Gedankens oder eines Gefühls heraus. Ich schreibe irgendetwas und sehe dann, wohin es mich führt. Bei Kurzgeschichten klappt das in der Regel prima. Bei längeren oder komplexeren Projekten stößt man irgendwann unweigerlich an den Punkt, an dem es unabdingbar wird, sich Notizen zu machen, eine kleine Figurendatenbank anzulegen und weiterführende Gedanken und Ideen festzuhalten.
Meist gehört das Ende einer Geschichte mit zu meinen ersten Ideen, den Grundgedanken. Denn so weiß ich, worauf ich hinschreibe und was ich da eigentlich erzählen möchte. Das bedeutet nicht, dass das Ende so bleibt – ganz im Gegenteil. ^^‘ Aber es gibt dem abstrakten Irgendetwas des Anfangs einen Raum, einen Rahmen und ein Warum.
Manchmal existieren zusätzlich ein paar Wegpunkte, die ich in der Geschichte haben möchte. Szenen, die direkt mit der Ursprungsidee geboren werden, oder die sich recht bald aus den ersten geschriebenen Seiten entwickeln, auch wenn ich noch nicht weiß, warum oder wie oder mit wem sie stattfinden sollen.
Und mit das Allergrößte am Schreiben für mich ist, dann zu sehen, wie sich diese Lücken, diese „ich weiß noch nicht“-Momente, ganz von alleine füllen, wenn sich scheinbar aus dem Nichts heraus die Puzzleteile bilden, die genau an diesen Platz gehören. Wenn sich plötzlich ergibt, warum Charakter A unbedingt nach Ort X möchte. Was B versteckt, warum C in Y ist oder woher D und E sich kennen. Dinge, die nie da waren, harmonieren plötzlich perfekt miteinander und bilden gemeinsam ein großes Ganzes, wie verschiedene Wollfäden einen wunderbar gemusterten Zopf ergeben, ohne, dass man sich darüber im Klaren war, was man tat, als man sie geflochten hat.
Ich liebe das!
In einer Geschichte habe ich zum Beispiel eine frisch erschaffene Figur in einem unbedachten Nebensatz spontan an einem Ort abseits der Handlung verfrachtet. Der einzige Grund dafür war, dass ich den aktiven Cast der Geschichte nicht gleich zu Beginn überladen und diese Figur lieber etwas verzögert vorstellen wollte. Aber mit jedem weiteren Kapitel wurde es schwieriger, sie zurückzuholen und in die Handlung zu integrieren. Ich habe mich zwischendurch sehr geärgert, dass sie nicht da ist, habe sogar überlegt, die Geschichte abzubrechen und sie mit ihr im Haupt-Cast komplett neu aufzubauen.
Aber dann, viele, viele Kapitel später, tauchte ein Problem in der Geschichte auf, für das ich keine logische Erklärung fand. Und da verwandelte sich dieses Puzzleteil, das ich so unbedacht erschaffen und an den Rand geschoben hatte, für das einfach kein Platz im Bild zu sein schien, in ein zentrales Verbindungselement. Jetzt gehört die Abwesenheit der Figur zum Kern der Geschichte, der zwei tragende Handlungselemente miteinander verknüpft. – Zauberei. ^^
Oder wenn aus zwei Statisten, die ursprünglich nicht mehr als ihre Funktionen erfüllen sollten, plötzlich echte Menschen werden. Wenn das lapidare „die mögen sich halt nicht“ Hand und Fuß bekommt, und sogar diese Randfiguren Platz finden, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten und dabei zu einem lebendigen Gesamtbild der Erzählung beitragen … was könnte sich erfüllender anfühlen?
Natürlich funktioniert das nicht immer. Manchmal bleiben Lücken hartnäckig leer, und dann landet man bei dem, was ich für mich „plotten“ nenne. Was aber nicht das Arbeiten/Aufbauen einer Geschichte nach Schema F meint, sondern eher: Fragen stellen. Fragen, fragen, fragen. Solange, bis Antworten da sind, die sich logisch und authentisch anfühlen. Die ganz organisch ein Puzzleteil schaffen, das perfekt in diese Lücke passt, so, als wäre sie von Anfang an nur dafür dagewesen.
Im Moment erfreue ich mich jedenfalls sehr an meiner Geschichte. Sie nimmt immer mehr Form an, obwohl sie über ihren Ausgangsgedanken längst weit hinausgewachsen ist. Sie fügt sich zusammen. Puzzleteil für Puzzleteil.
(Übrigens – falls es Euch noch schwerfällt, lose Enden zu verknüpfen oder Plotlöcher zu schließen, und Ihr Unterstützung sucht: Tanjas „Kreative Verknüpfungen“ Workshop bietet praktische Übungen für genau diese Fälle und macht dazu noch viel Spaß. ^^ (unbezahlte Werbung over))