„über der Wupper

… muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ … muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Zumindest habe ich mich gestern auf dem Heimweg so gefühlt. Ach, hätte ich doch etwas zu schreiben dabei gehabt! Ich kann es nie und nimmer so wiedergeben, wie ich es gestern auf dem Weg zum Schwimmen empfunden habe! Dennoch möchte es versuchen …

Das gleichmäßige Gerumpel der Schwebebahn lässt mich dämmrig werden. Ich blicke aus dem Fenster, genieße die Sonnenstrahlen, ihr Glitzern auf dem Wasser, nehme die Umgebung in mich auf. Und plötzlich ist es da. Eine Art Erwachen, aber nicht aus meinem zufriedenen Dämmerzustand, nein, ein viel mehr ein Erkennen:
Ich bin zuhause! Zum ersten Mal seit langem fühle ich mich wieder zuhause!

Zugegeben … Wuppertals Tal ist nicht gerade eine Schönheit. Aber es hat das gewisse Etwas, und seien es nur die unzähligen Kontraste. Das raue Ambiente der grünen und rostbraunen Gerüstelemente der Schwebebahn, die genüsslich hin und her schwingt, weil der Fahrer übermotiviert auf die Tube drückt, die heruntergekommenen Fabrikgebäude, die an die Wupper grenzen. „Proberäume zu vermieten“ steht auf einem schief herabhängenden Plakat.
Darunter liegen zwei ausgeschlachtete, graffitibeschmierte Autoruinen. Am angrenzenden Grundstück, dem Hinterhof einer dringend renovierungsbedürftigen Altbau-Villa findet sich ein fast idyllisch überwucherter Garten, in dem ein alter Mann auf einer Holzbank sitzt. Ich kann nicht erkennen was er tut, aber er blickt auf, als die Schwebebahn vorüber rumpelt. Ich weiß nicht warum, aber mir wird warm.

Als Nächstes drängen sich zwei moderne Neubauten in mein Blickfeld. Viel Glas, edler glänzender Stahl, frisches helles Holz, ein Balkon, der frisch und sorgsam mit bunten Blumen bepflanzt ist. Als Nächstes ein riesiger Altbau, der anscheinend gerade runderneuert wurde. Ein Restaurant findet sich im EG, auf der dazugehörenden Terrasse mit modischen Gartenmöbeln warten Gäste auf ihre Bestellungen.
Darauf folgt ein leerer Platz, der wohl noch auf seine Bebauung wartet, ein nagelneuer Supermarkt und dann wieder alte Fabriken. Ein steter Wechsel. Alt und neu, Idylle und kühle Moderne.

Dort! Hier scheint man Wohnungen in den alten Textilhäusern eingerichtet zu haben. Bemalte Fensterscheiben erinnern an die Villa Kunterbunt. Aus Ermangelung einer Fensterbank wurde das Dach des angrenzenden Gebäudes wild mit Kakteen in schmucklosen Tonumtöpfen begrünt. Einfach schön.
Der nächste Hinterhof ist knatschpink gestrichen und macht einen alternativen Eindruck. Gleich nebenan verkünden mit Klebeband beschriftete Fensterscheiben von einer Ballettschul, daneben kann man in eine schicke Künstlergalerie blicken, auf die eine KiTa folgt.

Nein, es ist nicht Berlin. Klar, in Berlin gibt es an jeder Ecke diese bunten, überfüllten Balkone, gemütliche Hinterhöfe. Aber so habe ich dort niemals empfunden. Ich mochte Berlin. Wenn die Bäume in meiner Straße im Sommer in voller Blüte standen und ihren Duft verbreiteten. Oder ich nach durchgequatschter Nacht bei Sonnenaufgang durch die taufeuchten Straßen des Prenzlauer Bergs in Richtung U-Bahn-Station gelaufen bin. Dann habe ich mich frei gefühlt, was ich ja auch war. Habe den Moment genossen. Doch zuhause, nein, das war ich dort nie.

Aus dem mp3-Player schallt mir der StarDust Soundtrack mit Take Thats „Rule the World“ auf die Ohren, während die Schwebebahn das Schauspelhaus hinter sich lässt und mich über die riesige Kreuzung zum Busbahnhof am Döpps trägt. Ich fühle mich leicht.

Nanu? Dort geht Markus. Woher kenne ich ihn noch gleich? Aus der Schule? Nein, auch er war Stammgast im „Kult“, meiner alten Lieblingskneipe aus Abiturzeiten. Elf Jahre ist das nun her. Ob er noch immer in dem kleinen Telekommunikationsladen am Luisenplatz arbeitet?
Oh, und hier: Herr P. steigt der Schwebebahn zu. Und schlüpft am Robert-Daun-Platz wieder heraus. Was er hier wohl will? Vor Jahren wohnte seine Tochter noch in der Gegend. Dann hat sich daran wohl nichts geändert. Er sieht nicht gut aus. Das sah er schon nicht, als ich ihn während unserer Wohnungssuche getroffen hatte.
Das hat es in Berlin nie gegeben. In der Innenstadt gleich zwei Leute zu treffen, die man kennt, an einem Tag. Gut, Berlin ist größer als Wuppertal. Aber auch Wuppertal ist eine Großstadt.

Weiter geht die Fahrt Richtung Sonnborn. Das Tal wird schmaler und die mit dichtem Grün bewachsenen Berge rücken näher. Rechts thront die Bergische Universität majestätisch über der Stadt. Links blitzen hier und da schmale Kirchturmspitzen aus den Baumwipfeln. Ich möchte alles einatmen, nichts wieder loslassen.
Hier bin ich aufgewachsen. Nicht hier unten, sondern da oben, inmitten des Grüns, dort, wo Kinder oft erst im Alter von 10 Jahren das erste Mal allein einen Bus besteigen, um runter ins Tal zu den weiterführenden Schulen zu fahren. Ich muss nur die Augen schließen, und weiß, was sich dort oben hinter den Bäumen verbirgt: weite Felder. Noch mehr Wald. Bauernhöfe. Kleine holprie Straßen. Und doch ist es merkwürdigerweise die Innenstadt, die mir gerade dieses Heimatgefühl vermittelt. Ist es vielleicht so wie bei einem Geliebten? Muss man auch bei einer Stadt die kleinen Unperfektheiten lieben, um sie wirklich zu lieben? Ich glaube ja. So fühle ich gerade. Selbst die verwahrlosten Fassaden der an die B7 säumenden Häuser können mich gerade nicht schrecken.

Hier habe ich den Führerschein gemacht. Hier bin ich unzählige Male nach lustigen Kinoabenden in den Bus gestiegen, um nach Hause zu fahren. Hier kenne ich fast jeden Stein und bin dennoch wegen der dauernd geänderten Straßenführung im Einbahnstraßenwirrwarr zum Verkehrssünder geworden.
Hier.
Hier komme ich her.
Hierbin ich jetzt.
Ich bin angekommen. Musste fortgehen, um am Start anzukommen. Erst jetzt, nach sechs Jahren Berlin.
Das liegt vermutlich auch an ihm. Und ihm.
Ich blicke noch einmal in das tiefe Grün der Berge. Alles strahlt vor Leben.
Ich fühle mich unendlich reich und glücklich.
Ich gehöre hierher.

3 Gedanken zu „„über der Wupper“

  1. wow, ich bin Beeindruckt und zugleich bewegst du mich zum Nachdenken. Ich bin ja auch vor 10 Jahren von zuhause ausgewandert und fühle mich noch immer nicht zuhause.
    Kann das sehr gut verstehen, zugleich bin ich aber auch von deiner Auffassungsgabe beeindruckt. Hast du solche Dinge schon immer so Bewusst wahrgenommen? Wirklich toll geschrieben

  2. Dankeschn! :oops:
    Ich glaube gar nicht, dass das Auffassungsgabe ist.. ich kenn hier halt nur alles ganz gut?! Denk ich so… :oops:

    Wie gesagt, 6 Jahre Berlin haben es auch nicht geschafft, dass ich mich heimisch fühle. Von wo nach wo bist Du denn gewandert?

Schreibe einen Kommentar