Einfach schreiben II – Fingerübungen für mehr Bewusstsein

Heute erfahrt Ihr, wie es mit meinem Ein-Notizbuch-in-den-Ferien-füllen-Projekt weiterging (und ob ich die schrecklichen Gedichte hinter mir gelassen habe):

Der nächste Schritt

Buch: Ursula K. LeGuins  Kleiner Autoren-WorkshopKurz bevor ich mit Natalie Goldbergs „Schreiben in Cafes“ fertig war, hatte ich das Glück, im Antiquariat ein bezahlbares Exemplar von Ursula K. LeGuins „Kleiner Autoren-Workshop“ zu finden, ein Buch, das schon lange auf meiner Wunschliste stand. Und – seit ich angefangen habe, mit ihm zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen, jemals einen besseren Schreibratgeber in den Händen zu halten. Ich liebe ihn!

Denn Ursula K. LeGuin verweist in ihrem Workshop nicht auf das Befolgen statischer Regeln (abgesehen von den grammatischen ;) ), sondern gibt – im Gegenteil – den Schreibenden verschiedene Übungen zur Hand, die anregen sollen, sich auszuprobieren. Den Rhythmus von Sprache zu fühlen, mit Klängen zu arbeiten, Interpunktion über Bord zu werfen, identische Szenen aus verschiedenen Erzählperspektiven oder für unterschiedliche Genres zu verfassen.

Sie öffnet Räume, die auf fast spielerische Art und Weise einladen, das eigene Schreiben zu erkunden, und dabei ganz nebenbei das Bewusstsein für bestimmte Erzählmittel zu schärfen. Mir macht (ja, Präsens!) das unfassbar viel Freude!


Nur ein paar Wörter täglich

Auch bei ihr geht es (im ersten Schritt) nicht darum, perfekte Texte abzuliefern und erst recht nicht darum, Masse zu produzieren. Sie schlägt maximal(!) 30 Minuten für eine Übung vor und eine Textlänge von meist nicht mehr als 350 Wörtern. Absolut machbar – und perfekt geeignet, um täglich das Notizbuch damit zu füttern.

Ich habe etwa zwei Wochen gebraucht, um ihren Workshop durchzuarbeiten. Währenddessen füllten die Übungen die gesamte erste Hälfte meines Ringbuches (es ist ein dickes!). Abgesehen von einigen einfach nur unterhaltsamen Fingerübungen, sind dabei auch mehrere Texte entstanden, die ich wirklich mag, und von denen ich einige im Nachhinein als Grundlage für eine Kurzgeschichte oder sogar eine Novelle benutzt habe. Eine dieser Kurzgeschichten erscheint sogar im nächsten Jahr in einer Literaturzeitschrift. Ich freue mich. ^^

Notizbuch - Sauklaue-Verschlüsselt 2.0Und während ich bislang meine Ziele von mir selbst auferlegten Mindestwörtern pro Tag kaum je erreicht habe, sich dadurch oft jedes einzelne Wort wie ein Kampf anfühlte und ich am Ende stets gefrustet von mir selbst und meinem Unvermögen aufgegeben habe, machte das Notizbuch in Kombination mit den Schreibübungen alles irgendwie ganz leicht:

Es ist egal, wie viel, es ist egal, wie gut, es muss nicht mal jemand lesen können (und kann oft (inklusive mir) auch niemand – Sauklaue ist eben doch die sicherste Form von Verschlüsselung ;) ), – ich muss mir einfach nur erlauben, es zu tun. Und das klappt wunderbar.


Die Antwort auf das „Wie?“

Meine ganz persönliche Antwort auf die Frage „Wie schreibe ich denn „einfach„?“ lautet also am ehesten: mit der Hand.

Denn, sobald ich am Rechner sitze, merke ich, dass ich zurück in mein Muster falle, wieder jedes Wort hinterfrage, anfange, zu bewerten und zu korrigieren oder mich in detailreichen Recherchen und Planungen verliere.

Der nächste Schritt auf meinem Weg zum „Einfach schreiben“ wäre also, auch die Arbeit am Roman ins Notizbuch zu verlagern. Das ist mir allerdings bisher noch nicht gelungen. Zwar kann ich irgendwelche Szenen für mein FoT-Projekt in den Block kritzeln, Momente, die aber vermutlich nie im Buch landen werden. Kleine Kurzgeschichten aus dem Blickwinkel anderer Charaktere oder auch die Handlung, die außerhalb der Reichweite meines Erzählers passiert. Und es macht mir auch wirklich Spaß, diese Dinge zu schreiben, aber das tatsächliche Voranbringen der eigentlichen Handlung, wie ich sie für die Reihe angedacht habe … ich weiß nicht warum, aber darauf konnte ich die „Leichtigkeit“ bisher nicht anwenden. Aber wer weiß? Vielleicht kommt das noch.


Notizbuch Nummer Zwei

Habe ich es also geschafft, das Notizbuch in den Ferien komplett zu füllen? Leider nein.

Es kam die Woche vor unserem Urlaub, in der so viel vorzubereiten war. Und dann der Urlaub selbst, in dem ich die Zeit lieber mit meiner Familie verbracht habe. Die Zeit nach dem Urlaub, in der der Alltag wieder alles in Beschlag genommen hat … und so ging es einfach immer weiter.
Am Ende habe ich satte 3,5 Monate für diese 320 Seiten gebraucht. Im Schnitt also etwa 100 Seiten im Monat, was – im Gegensatz zu 0 – ja aber gar nicht so schlecht ist. Oder?

Mittlerweile bin ich in der Hälfte des zweiten Notizbuches angekommen. Es ist deutlich schmaler als das erste, trotzdem wird es sich nicht wie von Zauberhand bis zum Monatsende füllen. Denn bei all der Freude, die mir das Schreiben der ungeformten Gedanken und Ideen auf seine Seiten bereitet, brauche ich trotzdem auch die Zeiten, in denen ich am PC sitze, die richtigen Worte für den Roman suche, eine Idee aus dem Notizbuch abtippe und in etwas anderes verwandele. Ich brauche beides. Darüber hinaus habe ich noch andere Verpflichtungen und es gibt weitere Dinge, die ich einfach nur gern tun möchte.

Eine zusätzliche Erkenntnis wäre also: Ich muss gar nicht genau das schaffen, was andere schaffen.
Was für andere ein Notizbuch im Monat oder 1000 Wörter am Tag sind – warum muss so eine Regel für mich gelten? Muss sie nicht. Ich hab eben mein Tempo. Und das ist mal schnell, mal langsam und braucht mal eine Pause. Und das – ist okay.
(Eine Weisheit, die es noch zu verinnerlichen gilt. Irgendwann vielleicht …)

NotizbuchgeschichtenDas Wichtigste für den Moment: Ich habe einen Weg gefunden, mit dem mir das Schreiben wieder Freude macht. Und – die zu erhalten, ist manchmal gar nicht so einfach. Denn auch das ist Arbeit – und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn gleichzeitig „einfach zu machen“ und ein Ziel zu verfolgen, funktioniert nicht, wenn man sich beidem mit mindestens 100% widmen möchte. Und von diesen 100% Anspruch zurückzutreten, muss ich definitiv noch üben.


Und weiter?

Ich möchte es beibehalten, jeden Tag wenigstens ein paar Zeilen handschriftlich ins Notizbuch zu schreiben, dabei aber Abstand von starren Zielen nehmen. Einfach nur: jeden Tag machen.
Wenn mir nichts einfällt, worüber ich schreiben kann, greife ich auf Übungen (z.B. aus den beiden Ratgebern von Nathalie Goldberg und Ursula K LeGuin) zurück. Auch ein paar eigene habe ich mir schon überlegt.

Zu meiner großen Freude habe ich außerdem eine Mitstreiterin gefunden, mit der ich einige der Übungen gemeinsam machen kann, wir unsere Ergebnisse miteinander teilen und besprechen. Das genieße ich wirklich sehr! ♥ Schön wäre dazu eine Schreib-Buddyline, mit der ich auch inhaltlich auf einer Wellenlänge bin – aber man kann nicht alles haben. Und einfach „nur“ Schreibzeit miteinander zu verbringen und sich darüber auszutauschen, ist tatsächlich schon unendlich wertvoll. Das will ich nicht mehr missen. ♥


Noch mehr Schreibratgeber

Habe ich nach LeGuins Autoren-Workshop weitere Schreibratgeber gelesen? Ja: Ray Bradburys „Zen in der Kunst des Schreibens“ und von James Wood „Die Kunst des Erzählens“.
Aus beiden konnte ich leider nicht viel mitnehmen.

Buch: James Wood - Die Kunst des ErzählensBei Wood war mir das Vorwort von Daniel Kehlmann tatsächlich der liebste Teil des Buches. Der Rest … las sich für mich wie der versnobte Sermon eines Literaturkritikers, dessen Blick prinzipiell missbilligend auf jede Form der Unterhaltungsliteratur fällt, und dessen nur leichtes Naserümpfen die höchste Anerkennung für „echte“ Literatur darstellt. *schauder*
Auch wenn ich seine (seeeehr detaillierten) Ausführungen gerade in ersten Buchhälfte oft nachvollziehen kann und ihnen hier und da auch zustimme, macht es mir einfach keinen Spaß, ein Buch zu lesen, bei dem man merkt, dass der Autor sich sehr gerne selbst schwafeln reden hört und der sich zudem ausschließlich an eine (vor)gebildete Zielgruppe richtet, die seinen Ergüssen möglichst gefesselt lauschen und sie huldvoll benicken soll.
Ich habe mich durch das Buch gequält und bin der Meinung, man hätte dessen Inhalt auf weniger als der Hälfte der Seiten in für alle verständlicheren (und unterhaltsameren) Worten wiedergeben können. Das nicht zu tun, ruft in mir eine automatische Abwehrhaltung für dieses „intellektuelle Gate-Keeping“ hervor.

Buch: Ray Bradbury - Zen in der Kunst des SchreibensRay Bradburys Ausführungen drehen sich vor allem um seine eigenen Texte und ihn selbst, was vollkommen in Ordnung ist. Gleichzeitig sind seine Erfahrungen in vielen Punkten einfach komplett aus der Zeit gefallen – was aber ebenso für Kings „Das Leben und das Schreiben“ oder Natalie Goldbergs „Schreiben in Cafés“ gilt. Es ist schön zu lesen, wie Autor*innen in den 70er und 80er Jahren (oder noch früher) zu ihren Agenten und Verlagen gefunden haben, ich glaube nur, es lässt sich mit der heutigen Zeit und der unfassbaren Menge an Autor*innen, die publiziert werden möchten, überhaupt nicht vergleichen. Das macht die Ratgeber zu einer Art … romantischen Erinnerung an einen Literaturbetrieb, wie er einmal gewesen sein mag. Und dass er heute ganz weit weg davon ist, Massentauglichkeit das oberste, wenn nicht gar einzige Argument zu sein scheint, wenn man auf der Suche nach einem Platz für das eigene Manuskript ist, macht mich dann gleichzeitig auch wieder etwas traurig. ^^‘
Aber die Zeit ist eben, wie sie ist.

Als nächstes möchte ich mir „Literarisches Schreiben“ von Lajos Egri vornehmen. Mal sehen, ob er auch ein paar neue Ideen für mich bereit hält, die ich – völlig unbedarft – in mein Notizbuch kritzeln kann.


Ein bisschen Text

Und weil einige gefragt haben, zeige ich Euch eins meiner so unbedarft entstandenen lyrischen Meisterstücke über Hundesabber. :D

Hundesabber
Platsch – da tropft es auf die Treppe
und ich latsche mittenrein
schaust mich an mit langer Zunge
kann Dir niemals böse sein

Als Kontrast dazu – und weil ich Prosa doch deutlich mehr liebe – noch das Beispiel eines „Klangtextes“, der bei der entsprechenden Übung aus dem LeGuin-Workshop entstanden ist. Diese Übung mag ich sehr, habe dabei aber festgestellt, dass gerade sie meine eigenen Vorlieben deutlich offenbart: Wenn es um Lautmalerei geht, schreibe ich ganz automatisch etwas von „wild wogenden Wellen und Wind“ .
Der folgende Text war mein Versuch, eben genau das nicht zu tun:

Rondo Veneziano
Streicher streichen straffe Striche, streicheln über schweigende Instrumente.
„Struktur! Struktur!“, schreit Schinovar. Taktlos tickt der Taktstock auf das Pult.
Scharren schallt in Stille. Seiten rascheln, Hüsteln. Ein Stuhl wird geradegerückt. Stille dann.
Abwarten.
Stille.
Spannung.
Anspannung, atemlos gebannt. Ein Nicken. Erlösung:
Der Streicher streicht.
Und jeder sieht, was jeder hört, für sich allein, auf seine Weise.
Der Streicher streicht.
Ein Ton, einer nur. Wächst und schwillt und schwillt, schmiegt sich an das Schweigen, spielt sich auf, verschlingt den Raum, verschlingt das Schweigen, schluckt – und bricht. Zitternd schwingt er, hängt und hallt, bis er beinahe verklingt.
Gänsehaut, Atemholen.
Ein letztes Zittern ist noch da. Schließ die Augen, halt es fest. Hör genau, fühl hin. Fühl den Luftzug, hör sein Zischen, spür das Startsignal.
Das Orchester erwacht.

Buch: Ursula K LeGuin Kleiner Autoren Workshop, daneben mein Notizbuch

Interessiert Euch sowas? Möchtet Ihr mehr davon? Mehr Übungen oder Ergebnisse? Wissen, was ich aus den nächsten Schreibratgebern so mitgenommen habe? Oder habt Ihr selbst ein paar Tipps und Tricks auf Lager, die Euch „einfach“ kreativ schreiben lassen? Erzählt doch mal! :)



Quellen und Inspiration:
Ursula LeGuin: Kleiner Autoren-Workshop, Autorenhaus Verlag, 2007 ISBN 978-3-86671-007-8

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